Bernd Mattiebe

 

Wolfgang Heger - Kunstmuseum Moritzburg, Halle (Saale)

FARBSICHT


Eröffnung der Ausstellung in der Galerie im Turm, Städtische Galerie Donaueschingen
Am 10. Mai 2015

 

Selbst – Sehen. Der Maler Bernd Mattiebe

Versucht man den neuen Arbeiten von Bernd Mattiebe auf die Spur zu kommen, fällt mir - und ich verfolge seine Entwicklung seit etwa 20 Jahren – vor allem die Kontinuität und die Konsequenz in seiner Arbeit auf.
Bernd Mattiebe ist allen Tagesmoden zum Trotz noch immer nicht an erzählerischer Malerei interessiert. Die Malerei wird bei Ihm nicht zum Ausmalen von Geschichten eingesetzt. Aber was ist sein eigentliches Thema? Er untersucht seit Jahrzehnten die Farbe selbst. Untersuchen bedeutet aber bei Mattiebe nicht, systematisch Farbpsychologie oder die Physiologie der Farbe auszuloten. Er versucht auch nicht Primärfarben auf der Bildfläche in eine konkret-konstruktiven Ordnung einzubinden. Auch das Verhältnis von Ordnung und Chaos ist für ihn kein Kriterium. Es ist seit Jahren an der Erkundung von Farbe als extremem Reiz interessiert. Vielleicht ist es aber insgesamt sogar weniger: „Farbe extrem“, - eine Feststellung, die ich 1995 einmal in einem Beitrag über den Maler getroffen habe. Heute würde ich es weniger radikal formulieren: der Maler stellt die Frage nach dem ästhetischen Reiz von Farbe überhaupt. Es geht also nicht um das maximale Ausreizen von Farbe, nicht um die Darstellung von Farbe als visuellem Schock. Der Künstler arbeitet oft mit Leerstellen, mit Mut zur Lücke, indem er die Textur der nicht grundierten Leinwand für seine Zwecke einsetzt. Es gibt bei ihm keine Bild füllenden All-over-Strukturen, kein dripping a la Jackson Pollock, aber auch nicht die klar definierten Farbfeldern eines Barnett Newman.

Die Qualität dieser Malerei liegt nicht im pastosen Farbauftrag und nicht in der großen Geste. Das Geheimnis ist wahrscheinlich die Entfaltung der Farbe in der Zeit. Wir gucken einfach drauf und dann kommt mit einem Mal die Frage: Was macht Farbe schön, was macht sie fest,was hält sie offen, was macht sie ruhig, was macht Farbe aggressiv? All das kann der Betrachter auf diesen Bildern miterleben. Aber was heißt das für den Betrachter? Bernd Mattiebe lässt der Farbe Luft zum Atmen. So finden sich verdichtete Stellen, neben transparent, fast lasierend gemalten, luftigen Bildbereichen. Die Farbe scheint lebendig zu sein, scheint sich mitzuteilen. Im Dialog mit dem Farb-Nachbarn, da kann es harmonisches Nebeneinander geben, aber durchaus auch Kontrast, ja Konfrontation, auch wechselseitige Durchdringung. Manchmal scheinen die Farbspuren auch kalligrafischen Charakter zu haben, da lassen sich dann ablesbare Zeichen vermuten, Botschaften in einer Sprache, die wir nicht kennen: vielleicht ein Zwischenreich, eine Geheim-Schrift, die ganz eigenen Gesetzen folgt und in der auch die Farbe eine eigene Bedeutung hat. Vielleicht Farbe, die Lauten entspricht, die dadurch zwar ablesbar, aber nicht deutbarer wird. Wir erahnen eine Bedeutung, - es muss doch wohl eine Bedeutung haben, oder nicht? - Das aber können wir nicht eindeutig dekodieren. Genau diese Rätselspannung aber ergibt die Qualität der Bilder.

Wir legen als Betrachter selbst unsere Emotionen und Deutungen hinein. Und: all das ist in Ordnung. Es gibt keine Vorschrift, keine vorab festgelegte Deutungshoheit. Gerade das macht ja den eigentlichen Reiz aus. Das hat aber nichts mit Beliebigkeit zu tun, denn da gibt es keinen einfachen Schlüssel, den man herumdreht und die Tür geht auf. Abarbeiten ist gefordert. Anstrengung! Die Anstrengung des Betrachters, die Kunst selbst zu sehen. Sich im Wortsinn selbst ein ein Bild zu machen. Nach Gotthold Ephraim Lessing sind wir aufgefordert, Selbst-Denker zu sein, Selbst-Seher in diesem besonderem Fall. Das kann beglückend, aber auch verstörend sein.
Hier wird also nichts serviert. Machen Sie sich also selbst ein Bild. Nur soviel sei gesagt, um dem vorschnellen Urteil vorzubeugen: Wir bewegen uns in Mattiebes Werkverständnis jenseits einer rein dekorativen Darstellungsweise. Es geht, das bleibt klar festzuhalten, nicht um schöne Bilder, sondern um existenzielle Erfahrungsräume. Dennoch: da ist viel Raum für Schönheit, ja für Poesie.

Mattiebe selbst spricht zwar gelegentlich von Farbfeldmalerei und es gibt da durchaus Beziehungen, ich denke aber, dass es bei ihm eine wichtige Unterströmung in Richtung auf die informelle Malerei der 1950er und -60er Jahre gibt. Informelle Malerei.: Die subjektive Spur des Körpers, der Hand, die sich auf der Leinwand manifestiert und diese Malerei erst zum Ereignis werden lässt. Eher also wohl eine Malerei, die künstlerische Subjektivität und existenzielle Themen mit dem Farbfeld neu zusammenbringen will. Wir sind mit dieser Malerei ganz im Hier und Heute.
Denn: die eigentliche Qualität des Werkes liegt nicht in der Zuordnung zu irgendwelchen Ismen oder Programmen, sondern in der ganz individuellen Kombination von Hand und Geist.

Und eines ist mir ganz besonders sympathisch: Der Maler tritt weder im Bild selbst, noch davor, mit dem Habitus des Genies, des Besonderen, oder des Malerfürsten auf. Er inszeniert sich weder als malender Handwerker (derber formuliert als Malschwein) noch als Geschichtenerzähler oder Ideologe, der politische Positionen vermitteln will. Ich muss den Urheber aktiv suchen. Wo finde ich ihn? Alles scheint so selbstverständlich, so nahe an der Sprache des Materials selbst zu sein. Gibt es ihn überhaupt, den Urheber?

Manchmal bin ich deshalb mit diesen Arbeiten ganz weit weg von allem, was mit gängigem Kunstverständnis zu tun hat. Dann erinnert mich diese Malerei ein wenig an Naturerfahrungen: Vogelrufe, Blätterrauschen, ich meine den Wind zu spüren. Kann Farbe das leisten, und uns solche Erfahrungsräume wirklich öffnen? Wenn man an das Phänomen der Synästhesie glauben mag, dann ist diese Zugleich-Empfinden der Sinne möglich. Jedenfalls regt diese Malerei dazu an. Überdies ist sie universell erfahrbar. Wir können da echte „Auslandserfahrungen“ sammeln, betreten unbekanntes Terrain. Vielleicht sind es Sternentore, Durchgänge in fremde, ferne Welten, Himmelskarten. Das Bernd Mattiebes Werk diese Form von Träumerei erlaubt, ist seine Stärke.
Die Wirkung von Absichtslosigkeit und Selbstverständlichkeit ist frappant. Malerei als ästhetisches Ereignis, das in unserer lauten Welt vor allem eines vermittelt: Ruhe, Stille.
„Tue nichts und alles ist getan!“ sagt Laotse, das schrieb ich einmal in einem Text.
Ergänzen würde ich das heute um den Satz: Lassen Sie sich auf das Abenteuer des Sehens ein. Bringen Sie Zeit mit. Werfen Sie alles Wissen über Kunst über Bord. Vergessen Sie das alles. Heute und hier haben Sie die Gelegenheit, sich ganz simpel, auf Malerei einzulassen. Überlassen Sie sich Ihren Sinneseindrücken und warten Sie ab, was passiert. Seien Sie ein Selbst – Seher: Sie werden nicht enttäuscht sein.

Halle/Saale, Mai 2015


Bernd Mattiebe:

Bernd Mattiebe erkundet das Thema Farbe in seiner künstlerischen Arbeit seit langem. Untersuchen bedeutet aber nicht Primärfarben wie Rot, Gelb, Blau auf der Bildfläche in eine konkret-konstruktive Ordnung einzubinden. Auch das Verhältnis von Ordnung und Chaos ist für seine Arbeit kein Kriterium. Es ist seit Jahren an der Erkundung von Farbe als extremem Reiz interessiert. Vielleicht ist es insgesamt sogar weniger: Farbe extrem, sondern vielmehr Farbe als ästhetischer Reiz überhaupt. Was macht Farbe schön, was macht sie fest,was hält sie offen, was macht sie ruhig, was macht Farbe aggressiv? All das kann der Betrachter auf diesen Bildern miterleben.
Mattiebes Malerei öffnet Farbräume, ist gleichzeitig reduziert und von größter Einfachheit. Die Monumentalität liegt nicht im Farbauftrag und nicht in der großen Geste: das Geheimnis dieser Malerei ist die Entfaltung der Farbe in der Zeit. Bernd Mattiebe lässt der Farbe Luft zum Atmen, da finden sich verdichtete Stellen, neben beinahe transparent gemalten, luftigen Bereichen. Die Farbe scheint zu atmen, sie scheint im Dialog mit dem Farb-Nachbarn zu stehen, dort gibt es harmonisches Nebeneinander, Kontrast, ja Konfrontation, auch wechselseitige Durchdringung. Wir erahnen eine Bedeutung, können sie aber nicht eindeutig entschlüsseln. Es gibt in diesen Bildern keine Lesart, keine vorab festgelegte Deutungshoheit. Und gerade das macht den eigentlichen Reiz aus. Denn da gibt es keinen einfachen Schlüssel, den man herumdreht und die Tür geht auf. Die Anstrengung des Betrachters, die Kunst selbst zu sehen, ist gefordert. Wir dürfen uns im Wortsinn selbst ein Bild zu machen. Das kann beglückend, aber auch verstörend sein.
Gleichzeitig spielt seine Malerei die Wichtigkeit und die Bedeutung herunter, die heute die Künstlerpersönlichkeit in der Welt sich jagender Auktionsrekorde einnimmt. Da gibt es keinen Kult um den Künstler. Der Maler selbst nimmt sich in seinem Werk radikal zurück. Diese Farbkünstlerei öffnet der Farbe die Räume, ermuntert die Farbe, bringt der Farbe ein Eigenleben.
Die Wirkung von Absichtslosigkeit und Selbstverständlichkeit ist frappant. Malerei als ästhetisches Ereignis, das in unserer lauten Welt vor allem eines vermittelt: Ruhe, Stille. Das Einlassen auf das Abenteuer des Sehens. Wir haben in dieser Ausstellung die Gelegenheit, uns darauf einzulassen.