Dr. Tobias Wall
und weiter.
Eröffnung der Ausstellung in der Galerie ABTART,
Stuttgart
Am 15. September 2022
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich war auf der Documenta. Sie auch? Wie fanden
Sie es? Es ist eine documenta, die spaltet und ich
werde diese Diskussion hier nicht eingehen.
Ich sage nur: es ist für mich eine große
Wohltat, in dieser Ausstellung zu stehen. Einfach
Malerei, Farben, Formen, Leinwände. Ich freue
mich, Gemälde eines Künstlers zu sehen,
der mit Kraft, Mut, Energie, Leinwände schafft.
Der künstlerische Setzungen macht, die in keinen
theoretischen, soziologischen, globalisierten Diskurs
eingeordnet werden müssen. Einfach Kunst, bei
der man seinen Augen trauen darf. Aber ich freue
mich natürlich auch, weil Bernd und ich uns
seit vielen Jahren kennen. Er und sein Werk begleiten
mich seit dem Beginn meiner Arbeit als Kunstwissenschaftler
hier in Stuttgart. Und wer hat uns bekannt gemacht:
keine andere als die Kunstpowerfrau Karin Abt-Straubiner.
2004 durfte ich noch in den alten Räumen der
Galerie, also hier in diesem Gebäude meine
erste Eröffnungsrede für Bernd Mattiebe
halten. 2004, es ist kaum zu glauben. Seitdem sind
Bernd und ich uns immer wieder begegnet, haben in
der Stiftung von Frau Abt zusammen gearbeitet. 2012
durfte ich erneut eine Ausstellung von Bernd eröffnen.
Ich kann also sagen, dass ich die Arbeit Bernd Mattiebes
seit Jahrzehnten kenne und damals wie heute beeindruckt
mich die Konsequenz und Energie, mit der er sein
Werk immer weiter entwickelt.
Bernd Mattiebe hat eine klare, starke künstlerische
Handschrift, zu der er bereits in seiner seiner
Studienzeit an der Stuttgarter Kunstakadmie gefunden
hat.
Er setzt auf die Macht der Grundfarben rot, gelb
und blau. Obwohl er sich nie dogmatisch an diese
Grundfarben gehalten hat, sind sie bis heute die
Basis seines künstlerischen Schaffens.
Die Grundfarben haben eine besondere Wirkung auf
uns. Ihre Kraft beruht nicht nur auf ihrer starken
abstrakten optischen Eigenschaft. Rot, gelb und
blau sind mehr als Farben. Sie sind Symbole für
elementare Kräfte, die das menschliche Leben
von je her bestimmten. Rot: die Farbe des Blutes,
der Liebe und des Zorns, Gelb: Farbe der Sonne,
der Energie, des Goldes, Blau: Farbe des Himmels,
des Wassers, des Lebens.
Kein Wunder, dass Künstler auf der Suche nach
der Essenz der Malerei, nicht selten zu diesen Farben
gelangt sind, Künstler wie Piet Mondrian oder
Barnett Newmann mit seiner Serie Who is afraid
of red, yellow and blue oder auch konstruktivistische
Künstler wie Max Bill oder Anton Stankovski.
Bei Bernd Mattiebe führt die Konzentration
auf die reine Farbe allerdings nicht wie bei diesen
zu einer konstruktiven oder konzeptuellen Strenge
oder gar Hermetik.
Ihm geht es darum, mit Farb- und Kompositionswirkungen
zu experimentieren und in einem streng vorgegebenen
farblichen Rahmen die Möglichkeiten von Malerei
auszuprobieren. Um die Farbwirkung zu steigern hat
Mattiebe über die Jahre ganz präzise Farbtypen
ermittelt, mit denen er sein künstlerisches
Anliegen am besten umsetzen kann: ein kühles
Zitronengelb ganz ohne Rotanteil, ein Utramarin
ohne Gelb allerdings mit gewissem Rotanteil, ein
Kadmiumrot mit relativ hohem Gelbanteil, so dass
es in seiner Leuchtkraft beinahe Orangerot erscheint.
Die Vielfalt, in der er diese Farben einsetzt, zeigt
sich in dieser Ausstellung auf eindrückliche
Weise: Er trägt sie auf ganz unterschiedliche
Arten auf die groben Leinwände auf. Manchmal
dünnflüssig, fast lasierend, so dass sie
sich teilweise eigenständig auf dem Untergrund
ausbreitet und in ihn eindringt, manchmal setzt
sie die Künstler in energischen Gesten auf
die Leinwand, manchmal sind die Farben geschüttet,
bilden zufällige Flächen, in bestimmten
Werkreihen setzt er dicke Farbhhaufen aufeinander,
die regelrechte Reliefs bilden.
Auf vielen Bildern lässt der Künstler
der Farbe ihren freien Lauf, dann sind sie wieder
in streng umrissene geometrische Bildelemente gefaßt
oder wird von klar geführten weißen Wellenstreifen
durchzogen oder mit Ringen und Kreisen kombiniert.
Es gibt Bilder, die aus dem klaren Dreiklang der
Grundfarben leben, auf anderen untersucht der Künstler
die Kräfte, die sich im Miteinander zweiter
Farben ergeben und in wieder anderen konzentriert
er sich auf einen einzigen Farbton, z.B. ein Rot
und führt uns die faszinierenden Nuancen vor,
die sich etwa durch lasierende oder expressive Setzungen
ergeben.
In all ihren Bewegungen finden seine Bilder immer
in ein Gleichgewicht, ein freies Spiel
Obwohl es sich immer um ein Spiel ohne gegenständlichen
Hintergrund handelt, lösen sie bei mir dennoch
konkrete Assoziationen aus. Manche erscheinen mir
wie Blicke in Phantasiegalaxien, wie in fremde,
irreale Farbenkosmen mit entstehenden und vergehenden
Sternen, Planeten, Milchstraßen.
In seinen neueren Arbeiten lässt sich Bernd
Mattiebe tatsächlich von kosmologischen bzw.
physikalischen Phänomenen inspirieren. Etwa
bei der wunderbaren mehrteiligen Arbeit Wellen-Teilchen-Dualismus,
in der er, wie er sagt, den Versuch unternimmt,
in Form von Malerei ein bildhaftes künstlerisches
Gleichnis für dieses Quantenphyikalische
Phänomen zu erstellen.
Meine Damen und Herren, ich bin ganz offen. Bei
diesem Werk merke ich, dass ich im Bereich Physik
völlig unbegabt und unbelehrbar bin. Ich sehe
hier vor allem einen faszinierenden Farbraum, der
für mich gerade dadurch entsteht, dass für
mich nie ganz klar ist, was für ein Raum das
ist, wo vorn, wo hinten, oben und unten ist.
In einem früheren Gespräch hatte mit Bernd
gesagt, dass seine Werke häufig erst im Malprozess
entstehen. Er gehe zwar von einer Bildidee aus,
es gibt aber keine Entwürfe oder Skizzen. Er
fängt einfach an und schaut, wie sich die Idee
im Malen entwickelt wo das Bild ihn hinführt
Am schönsten ist es, meinte Bernd einmal, wenn
mich das Bild selbst überrascht. Genau
das macht für mich das Werk von Bernd Mattiebe
aus: dieses Gleichgewicht aus konzeptionellem ernst
bzw. formaler Konzentration auf der einen seite
und Offenheit und Freiheit im Tun bzw. der daraus
entstehende unmittelbaren Energie eines freien informellen
Duktus auf der anderen. Für mich vereint Bernd
Mattiebe in seinem Werk das Unvereinbare oder zumindest
schwer Vereinbare: Formale Strenge und Expressivität,
Konzentration und Emotion.Dass es Bernd Mattiebe
gelingt, diese gegensätzlichen Kräfte
in seiner Malerei zu bändigen und seine Gemälde
in diesem schwebenden, bewegten Gleichgewicht zu
halten, zeigt, dass wir es mit einem Meister zu
tun haben, einer reifen Künstlerpersönlichkeit,
die sich seit Jahrzehnten immer aufs Neue an den
Herausforderungen der Malerei abarbeitet. Man fragt
sich, wie genau solch ein Oeuvre entsteht, wie die
Bildideen entstehen, welche ergriffen und wie sie
schließlich ins Werk gesetzt werden.
In der Tat ist es so, sagt Bernd, dass er in seiner
Arbeite aus einem nie still stehenden Ideenfluss
schöpft. Auch während des Malprozesses
entstehen immer neue Bildvorstellungen, die aber
fast immer gleich wieder vergehen, noch bevor sie
in einem Bild festgehalten werden können. Wenn
er all seinen Ideen nachgehen würde, müsste
er pausenlos und ewig malen.
Da dies natürlich nicht möglich ist, hat
er sich überlegt, wie er diese vergänglichen
Übergangsideen einfangen könnte. Er hat
sich entschieden, diese Übergänge filmisch
zu fassen, indem er den Fluss der Bilder in einem
Video festhält. So entstand ein Filmprojekt,
das die vergänglichen, nie realisierten Ideen
sichtbar macht.
Die Entscheidung, seine Malerei in Film umzusetzen
finde ich sehr interessant, denn in der Tat kommt
mir das Werk von Bernd Mattiebe vor wie beinahe
zufällig festgehalten Ausschnitte aus einem
ewigen Fluss von Farben und Formen. Sie kommen mir
vor wie Ausschnitte aus einer unendlichen gemalten
Melodie.
Melodie
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich
habe bei Malereien häufig musikalische Assoziationen.
Auch in Bernds Bildern finde ich die Klänge,
Rhythmen Harmonien und Dissonanzen, die ich auch
in Musik finde.
Aus diesem Grund finde ich es sehr schön, dass
diese gefilmte Malerei von Musik begleitet wird.
Und zwar von Musik, die Sebastian Mattiebe, der
Sohn von Bernd komponiert hat. Mit elektronischen
Tönen, Klängen und Rhythmen hat er eine
Art musikalisches Pendant zur Malerei seines Vaters
geschaffen. In diesem bewegend beruhigenden Sound
von Sebastian Mattiebe finde ich das, was ich oben
schon über die Malerei von Bernd gesagt habe:
Konzentration und Emotion.
Eine sehr schöne Kombination. Bernd kann sich
freuen, einen Sohn mit einem so wunderbaren kreativen
Talent haben.
Meine Damen und Herren Sie sehen, ich komme bei
dieser Ausstellung ein bisschen ins schwärmen,
weil ich es sehr genieße, hier Kunst ganz
ohne Thorie und Ideologie, rein in ihrer Sinnlichkeit,
und so in ihrer Freiheit zu erleben. Und ich freue
mich, dass Frau Abt Künstlern wie Bernd Mattiebe
über Jahre und Jahrzehnte hinweg die Treue
hält und uns so die Möglichkeit gibt,
dieses besondere Werk immer wieder zu erleben.So
und nun, meine Damen und Herren lade ich sie ein,
sich in den freien Fluss der Farben, Formen und
der Klänge von Bernd und Sebastian Mattiebe
zu begeben.
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